Daniela Baumgartner – Die Filmemacherin vom Starnberger See

 

 

Gläubige Menschen würden die  folgende Geschichte vom See Genezareth wohl als eine Art Gotteserfahrung bezeichnen: „Ich brauchte damals ein Gewitter“, erinnert sich die Dokumentarfilmerin Daniela Baumgartner. Als sie für ihren Film über Jerusalem 2012 etliche historische Schauplätze wie diesen aufsuchte, ruhte der See gerade. „Und plötzlich brach wie aus heiterem Himmel ein Sturm los – mein Kameramann konnte es kaum fassen.“ Die studierte Ethnologin lacht wie ein junges Mädchen, das gerade eine chancenlose Wette gegen ihren Professor und die geballte wissenschaftliche Lehre  gewonnen hat – zwischen Himmel und Erde gibt es eben mehr, als sich unsere Schulweisheit träu-men lässt. Von vorgezeichneten, erwartbaren Wegen ist die 50-jährige anscheinend schon immer ganz gerne abgewichen:

„Als Tochter eines Philosophie-Professors und einer Mutter mit bäuerlichen Wurzeln hatte ich eigentlich eine gute Balance mitbekommen“, 

sagt die Münsingerin, die das Münchner Ludwig-Gymnasium besuchte und später an der Ludwig-Maximilians-Universität ein Prädikatsexamen hinlegte. Schon damals muss sie die gründlich studierte Theorie der Ethnologie als einengend empfunden haben, sonst hätte sie die denkbare akademische Laufbahn wohl nicht verlassen, um sich dem Planeten und seinen Ethnien „praktisch“ zu widmen. Der rational geprägte Vater mag dies als „unwissenschaftlichen Empirismus“ betrachtet und vernehmlich gegrummelt haben – Steine hat er der auf die Menschheit neugierigen Tochter aber offenbar nicht in den Weg gelegt.

Was Daniela damals auch anpackte, es zeigte Erfolg: Ein Jahr lang war sie gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Mitglied der Nationalteams im Freestyle Skiing, bis sie – mit gerade mal 22 – das Gefühl hatte, die Dinge würden sich ab einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Ablauf „nur noch wiederholen, obwohl wir viel Spaß hatten damals“.

 

Daniela Baumgartner wäre nach erfolgreichem Universitätsabschluss bestimmt eine weitere Hochschullaufbahn offen gestanden, aber der Elfenbeinturm der Forschung reizte sie deutlich weniger als die weite Welt.

Den „großen Fragen“ der Religiosität mittels eigener Erfahrungen nachzugehen, das sollte ihr persönlicher Pfad der Erkenntnis werden – aber eben nicht in bloßer spiritueller Versenkung, sondern mit dokumentarischem Ansatz gepaart. Im Gepäck: Fundiertes Wissen, eine kritisch-analytische Gabe und Unvoreingenommenheit gegenüber den Menschen, denen sie begegnete. „Mein Standpunkt ist ein religiöser,“ stellt die bekennende Katholikin gleich zu Anfang des Gesprächs klar.

Sie sei für kurze Zeit mal aus der Kirche ausgetreten, dann aber vor acht Jahren wieder in die Kirche eingetreten, und sie verbinde trotz der Hochachtung für den emeritierten Papst mit dem neuen Papst Franziskus aus Argentinien gewisse Hoffnungen. 

Teile Südamerikas hat sie bei ihrer Arbeit als Dokumentarfilmerin auch schon kennengelernt: Naturreligionen, Grenzerfahrungen – manches, durchaus auch Abschreckendes davon hat ihr womöglich dabei geholfen, den eigenen Weg präziser zu sehen. Ihr kommender Film wird sie gleichwohl wieder nach Bolivien führen, erste Vorbereitungen laufen bereits. Daniela Baumgartner hat sich im Zuge ihrer Projekte inzwischen sogar die digitale Schneidetechnik angeeignet, teils hilft ihr noch eine Profi-Cutterin, die den Final Cut macht und zwischendurch ermunternd zu ihr sagt: „Das wird schon.“ Drehpläne und Organisationskram, vorbereitende Gespräche, ja sogar die Knochenarbeit an der Kamera hat Daniela selber geschultert, wenn ihr Stamm-Kameramann vom ZDF ihr mal nicht zur Seite stehen kann. Ihr jüngstes fertig gewordenes, frei produziertes Projekt hat beide im Vorjahr für knapp vier Wochen nach Israel geführt: „Bis ich deine Tränen trockne“ befasst sich mit dem Alltag des Zusammenlebens der verschiedenen Religionen in der Stadt Jerusalem. Baumgartner stellt darin orthodox-jüdische, christliche und arabische Familien vor, wirft einen Blick auf die pragmatische Seite einer im Grunde unmöglichen Koexistenz: „Ich konnte mit allen über alles reden – außer über die tiefer gehenden Fragen ihrer Religion“, berichtet die mutige Filmemacherin, die bei ihren Dreharbeiten buchstäblich an Grenzen stieß. Auf dem Tempelberg etwa haben mittlerweile die Israelis das Sagen, und weil sie Danielas Kamera-Team nicht durch den Kontrollposten ließen, musste man mit eingeschmuggelter Pocket-Kamera improvisieren: „Musste nachbearbeitet werden, sind aber prima Bilder geworden“, freut sich die hartnäckige Dokumentarfilmerin.

 

Ihr selbstständiges und zumeist aus eigener Tasche vorfinanziertes Arbeiten wird der Münsingerin zuweilen dadurch erschwert, dass bestimmte Themenbereiche bei den Fernsehsendern genau in dem Moment als „abgegrast“ gelten, wenn man ihnen etwas anbietet – Geschäftsrisiko. Einen Namen hat sich die freie Autorin und Dokumentarfilmerin mit ihren inzwischen sieben Projekten dennoch längst gemacht, auch dank einer gewissen materiellen Unabhängigkeit – man spürt im Gespräch mit der charmanten und sportlich wirkenden Frau eine ebenso ernsthafte und tiefe Dankbarkeit für dieses Privileg. Sie sei „kein oberflächlicher Mensch“, sagt sie beinahe entschuldigend, so als sollte man sich im Mediengeschäft vor allem als Frau tunlichst leicht und unterhaltend präsentieren. Dabei ist die ausbalancierte Seriosität, mit der sie offenbar an alle Dinge heran geht, ihr wahres Kapital: Die Objektivität der einstigen Wissenschaftlerin kann ihr gewiss helfen, Mindestabstand zu wahren – trotz der humanistischen Empathie, die sie spürbar antreibt. Den Zugang zu den Menschen findet Daniela Baumgartner zweifellos immer wieder durch ihre eigene, unverstellte Persönlichkeit – sie selbst ist in Israel jüdischen Kindern begegnet, die ihr „auf den Grund der Seele geschaut“ und ihr Fragen gestellt haben, wie sie es denn mit diesem „Gott“ halte, der ja für jede weltanschauliche Richtung wieder etwas anders ist und manchmal gar nicht direkt benannt werden darf.

 

Die Filmemacherin hat also viel zugehört und zugeschaut in der Stadt, die drei Weltreligionen als heilig gilt. Und sie hat es offenbar verstanden, aus der Fülle an Material ein eindrucksvolles Zeitdokument zu destillieren: Baumgartners Bestandsaufnahme des „alltäglichen Jerusalem“ ist vielleicht weit aussagekräftiger, als es sämtliche politischen Erklärungs- und Deutungsversuche leisten könnten –

„Bis ich deine Tränen trockne“ wurde beim New York International Independent Film Festival 2012 in Los Angeles mit dem „Best Director Award“, dem Preis für die beste Regie, ausgezeichnet. 

Dem Film vorangestellt hatte die Autorin ein Zitat aus dem Lukas-Evangelium (Kapitel 19, Vers 41-42): „Als Jesus die Stadt erblickte, weinte er über sie und sprach: ´Wenn doch an diesem Tag auch du erkenntest, was zum Frieden dient! Nun aber ist es verborgen vor deinen Augen!`“ Die These, dass das tägliche Miteinander „auf knapp einem Quadratkilometer“ Juden, Christen und Moslems zu Frieden stiftendem Pragmatismus zwingen könnte oder gar müsste, hat Baumgartner einer ausgewogenen, aber nicht teilnahmslosen Überprüfung unterzogen, wie sie selbst sagt: „Ganz raus halten kann man sich einfach nicht – ich habe nun mal meinen westlichen Blick auf die Dinge“, räumt die Dokumentarfilmerin ein: Ein solches „Dokument“ ist aber gerade kein streng wissenschaftliches Experiment, dass davor zu schützen wäre, durch den emotional beteiligten Beobachter selbst nicht verändert zu werden – „moderne“ Dokumentarfilmer lassen heute sogar ganz bewusst Bilder und O-Töne für sich selber sprechen; sie üben beim Kommentieren des Materials Zurückhaltung, entwickeln aber durchaus unaufdringliche Konnotationen und so etwas wie ein „Fazit“.

 

Daniela Baumgartner kommt nicht zu „endgültigen“ Ergebnissen – sie stellt bei ihrem Jerusalem-Projekt Gemeinsamkeiten und Widersprüchlichkeiten nebeneinander, ohne zu werten. Leistet sie hier vielleicht sogar eine ganz persönliche Form von Friedensarbeit durch das begreiflich Machen einfacher Zusammenhänge und Gegebenheiten? So hoch würde sie die Sache wohl nur ungern hängen, doch das „Ecce homo“ – der Anteil nehmende Blick auf das, was den Menschen ausmacht, er ist ihr zweifellos gegeben. Bei ihren Filmen war der Mensch in seinem Verhältnis zur Natur und zu Gott das Kardinalthema, oder auch die Gottsuche in der Natur – eine ihrer Arbeiten beschäftigte sich mit der „Heiligen Erde“ des Hawai´i Honua Mea, eine andere hieß „4 und ein Tropfen auf einem Lotusblatt“ und erkundete  jenen heiligen Ort in Nord-Indien, an dem der Ganges aus dem Himalaya-Gebirge in die Ebene kommt. Baumgartner könnte man mit der flotten Bündigkeit des Journalisten als eine stets wissensdurstige Fährtensucherin der Spiritualität bezeichnen, aber mit derlei Etiketten würde man ihr kaum gerecht: Die 50-jährige ist keine Abenteurerin, sie steht „mit beiden Beinen im Leben“, wirkt geerdet und in absoluter seelischer Balance. „Ein Ehemann? Hat sich irgendwie nicht ergeben“, sagt sie lachend und ohne jeden Anflug von Bedauern. Viele gute und langjährige Freunde, das ja, aber mit  familiären Verpflichtungen wäre ihre Neugierde auf die Welt womöglich nicht so in Einklang zu bringen gewesen. Daniela hat immerhin einen Hund an ihrer Seite: „Italiener von der Straße“, merkt sie an. In Münsing geht es dem temperamentvollen Vierbeiner bestimmt gut, es gibt hier viele abwechslungsreiche Spazierwege, und auch der Starnberger See liegt kaum 50 Meter entfernt. Ein glückliches, ein privilegiertes Dasein? Daniela Baum-gartner mag vom Leben beschenkt worden sein, aber sie hat aus diesen durchaus günstigen Start-Bedingungen und ihren herausragenden Gaben ganz offenkundig auch etwas gemacht – und das lässt sich weder durch Sportpokale noch Dokumentarfilm-Preise ausdrücken: Sie hat sich, bei allem berechtigten Selbstbewusstsein, auch im Erfolg eine sympathische Demut bewahrt. Sie hat, könnte man sagen, ihren  Weg gefunden.

 

∗ Thomas Lochte