Die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende.
Woody Allen
Die gebastelte Magie des Peter Alexander Kott
Man könnte ja so viel erfinden. So viel Nützliches. Energie Sparendes. Zeit Gewinnendes. Man könnte den Menschen von heute zeigen, wie es sich auch ohne Handy-Hektik und TV-Flachsinn, ohne Ressourcen-Verschwendung und ohne all die ungesunde Beschleunigung aushalten ließe. Peter Alexander Kott aus Bernried lebt deshalb eine Art Gegenentwurf – der gelernte Maler fährt Moped, beschäftigt sich mit Sand und Sperrholz und dem Energieerhaltungssatz. Er bringt Schulkindern bei, wie man mit Holz bastelt und dabei ganz nebenbei die Schönheit natürlicher Materialien entdeckt. Kott hat einen Blick auf die Dinge, wie man ihn im 19.Jahrhundert hatte: einen ruhigen Blick für Details, einen auf Ästhetik ruhenden Blick. Kott weiß, wie kostbar die Zeit ist, deshalb baut er ihr kleine Denkmäler, die die Zeit wie in einem kostbaren Schrein für einen Augenblick festzuhalten scheinen.
Sand, der in einem trichterartigen Glas durch eine Öffnung rinnt, unaufhaltsam und stetig – das be-kannte Sinnbild von der verrinnenden Zeit. Doch Zeit ist nicht nur eine Metapher. Genau wie das Wasser ist er in der Lage, mechanische Arbeit zu verrichten. Bereits die alten Ägypter wussten diese Tatsache beim Bau der Pyramiden zu nutzen, und auch im sogenannten „spielenden Zeitalter“ wäh-rend des 19.Jahrhunderts feierte die Antriebsform Sand wahre Triumphe, wenn es darum ging, leb-loser Materie zumindest für eine gewisse Dauer Bewegung einzuhauchen.
Das auf simpler Schwerkraftnutzung fußende Prinzip, feinporigen Sand als Medium für das Takten und Darstellen bestimmter Abläufe zu verwenden, ist denkbar einfach. Wenn es aber darum geht, das damit verbundene physikalische Thema zu variieren und zur regelrechten Kunstform zu erheben, zum philosophischen Diskurs über das „Phänomen Zeit“, wird man wohl keinen berufeneren Praktiker finden als den 55-jährigen Peter Alexander Kott.
Der gebürtige Hechendorfer hatte sich schon vor Jahren keiner geringeren Aufgabe gewidmet als der Annäherung an einen alten Menschheitstraum: das Perpetuum mobile – laut Definition „eine Maschine oder ein Apparat, die/der ohne äußere Zufuhr von Energie immer in Bewegung ist“.
Golfer und andere Geschöpfe
„Sand war Zufall“, sagt der begnadete Tüftler, wenn man ihn danach fragt, warum er sich ausgerechnet dieses Medium ausgesucht hatte. Anfangs hat Kott, wie er sagt, „mit Wasser herumgeplätschertschert“, aber es sollte sich bald herausstellen, dass das feuchte Element als Antriebsenergie immer nur für wenige Sekunden tauglich war. Sand – genauer: Vogelsand zu mehr als 1 Euro pro Kilo – war für die kleinen zerbrechlichen Kunstwerke aus Sperrholz genau das Richtige. „Schon als Kind war ich von mechanischer Bewegung fasziniert“, erinnert sich der am beschaulichen Wörthsee aufgewachsene Geduldsmensch. Auf einen kreativen Lebensweg hatte sich Kott schon recht früh festgelegt – auch den klassischen Kindheitstraum vom späteren Lokomotivführerdasein hatte er einst geträumt, als Ausdruck einer „Lust und Freude am Spielerischen“. Diese Lust und Freude möglichst vielen Menschen weiter zu vermitteln, sieht Kott heute als „Aufgabe und Ziel“. Viele besuchen ihn und seine Wunderwerke regelmäßig in seiner Bernrieder Ein-Zimmer-Wohnung, die mit ihrer Möblierung und dem Schreiner-Tischchen selbst eine andere Zeit zu atmen scheint.
Wer den (Wahl-)Bernrieder in dieser Umgebung erleben darf, der ahnt schon wegen der räumlichen Enge, dass da einer sehr behutsam zu Werke gehen muss. Jeder Schritt auf den wenigen Quadratmetern, jeder Handgriff in dieser Miniaturwerkstatt mit Wohncharakter muss sitzen, muss gut überlegt sein: Die Arbeit mit den aufs Feinste zurecht geschnittenen Hölzchen (einziges elektrisches Equipment bei Kott ist eine kleine Stichsäge), sie diktiert ganz von selbst Bewegungsabläufe von geradezu buddhistisch-ruhiger Hand.
Auch der Betrachter der hier entstandenen Arbeiten wird sofort von einer merkwürdigen Verlangsa-mung des subjektiven Zeitempfindens erfasst: Den Figuren scheinen entgegen ihrer hölzernen Beschaffenheit „Leben“ inne zu wohnen, eine Art Energie-Potenzial, das von magischer Hand jederzeit abgerufen werden kann. „Gerade hat er noch gespielt“, sagt Peter Alexander Kott über seinen „Golfspieler“. Jetzt ist der Spieler lädiert, die Schlägerspitze ist abgebrochen: „Es geht ihm gar nicht gut“, sagt Kott wie ein besorgter Vater. Es ist wie in diesen Kindheitsfantasien – man dreht sich um, und hinter dem Rücken erwacht das Spielzeug im Zimmer zum Leben; man dreht sich nochmals um, und es verharrt reglos, als wäre nichts geschehen.
Der „Golfer“ ist so ein Wunderding, das sich nicht jedem zeigt und beim Putten mit dem winzigen Schläger einem eigenen Willen zu gehorchen scheint. „Vorhin hat er noch gespielt“ – ein Satz, der den liebevoll-persönlichen Bezug zwischen der Figur und ihrem Schöpfer zum Ausdruck bringt. Kott besucht den Golf spielenden Holz-Mann hin und wieder im „Hotel Kaiserin Elisabeth“ in Feldafing, wo ihn ein befreundeter Käufer ausgestellt hat. In der Tat hat Kott hier eine „Persönlichkeit aus Sperrholz“ erschaffen, eine Miniatur, die sogar wie ein „richtiger“ Golfer in der Lage ist, „den Ball anzusprechen“, wie es im Fachjargon heißt. Kott hatte sich auf Golfplätzen herum getrieben, gewissermaßen Feldforschung geleistet, eher er sich ans Werk machte. „Es hat mich gereizt, diese erst verzögerte, dann komplett ausgeführte Bewegung beim Putten umzusetzen“, schildert er die akribische Vorbereitung mit zahlreichen Skizzen. „Die Problemstellung war: Wie transportiere ich den Ball zurück?“ Kott löste die knifflige Aufgabe quasi „unterhalb der Grasnarbe“. Unter dem Green installierte er einen Zylinder und in dem Zylinder einen Kolben, der das geputtete Bällchen wieder nach oben drückt – für den nächsten Schlag. Oben, auf der „Bühne“ des Golfspielers aus Holz, sorgt ein mit Sand betriebenes Schaufelrad – gleich dem Prinzip einer Wassermühle mit Schleusen – für den Antrieb, der wiederum über kleine Hebelchen und Fäden auf die Spieler-Figur übertragen wird.
Von Golfern und Pianola-Spielern
„Endlose Tüftelei und schlaflose Nächte“ habe es ihn gekostet, bis die Steuerungswalze hinter dem Golfer so getimt war, dass sie den gewünschten Bewegungsablauf generierte. Kotts kleiner „Golfer“ spricht den winzigen Ball erst zwei Mal an, dann puttet er – treffsicher. Das einzige Problem ist nun noch eine Staubempfindlichkeit des neuen Besitzers gegenüber dem Vogelsand – Kott rüstet des-halb wohl auf Solartechnik um, das äußere, verblüffende Geschehen wird bleiben. Transparente Mechanik: Der Künstler legt großen Wert auf die sichtbare Nachvollziehbarkeit seiner kleinen Mobilitätswunder. Die Geschöpfe werden bei ihm auch nicht verkleidet wie die mechanischen Puppen des Biedermeier, ihre Funktionsweise ist stets transparent, sie liegt so offen zutage wie beim Prototyp aus den „Terminator“-Filmen.
Diese Wesen aus Sperrholz sind dabei alles andere als destruktiv. Es sind verträumt wirkende, musi-sche Zeitgenossen, romantisch verspielt, selbstvergessen, wenn man so will. Wie der „Golfer“, so – auf seine ganz eigene Weise – auch der „Pianola-Spieler“, das nächste Wunder aus der Bernrieder Werkstatt: Eine Stiftwalze mit sage und schreibe 272 Löchern und 60 bis 70 Stiften bewegt das wiederum größtenteils aus Holz gefertigte Kinder-Pianola, diese Mode des 19.Jahrhunderts (seinerzeit allerdings mit Feder-Antrieb). Die Walze ist in der Lage, auf den 555 Einzelelementen der Tastatur – wegen möglicher Reparaturen komplett herausnehmbar – eine Melodie erklingen zu lassen, die wiederum mit den Bewegungen des „Pianola-Spielers“ koordiniert wird. Und wieder ist es der Sand, der über einen Transmissionsriemen im Inneren des Pianolas die erforderliche Antriebsenergie liefert.
„300 Gramm reichen etwa für fünf Liedchen“,
hat Kott berechnet. Bis alles perfekt war, hatte er ein Jahr daran gearbeitet: „Man muss zum Beispiel damit rechnen, dass sich das Holz verzieht, und deshalb etwas Spiel lassen“, beschreibt der 55-jährige das Unwägbare dieser magischen Schöpfungen, zu denen auch ein zuweilen die Beine übereinander schlagender „Zeitungsleser“ mit Hündchen zählt und ein bestens funktionierender Mini-Plattenspieler mit Sandantrieb und Schaufel-radprinzip – Letzterer 64 Zentimeter hoch und auf einer 58 mal 38 Zentimeter großen Fläche sie-delnd und mittlerweile im Besitz eines Tutzinger Sammlers, der Kotts gesammelte Werke nahezu komplett gekauft hat.
Im Holz ist die Sonne
Technik und Ornament hat der Sand-Meister dabei auch noch in Einklang gebracht: „Ist Kult“, schmunzelt Kott, dem die Idee einst angesichts eines alten Grammophons auf dem Flohmarkt kam. Ähnlich wie beim Miniatur-Nachbau alter 50er-Jahre-Motorräder aus Holz: Mit einem solchen echten Zweirad ist der Bernrieder einmal sogar bis Paris gefahren, „in den Flower-Power-Zeiten“, wie Kott lächelnd anmerkt. Die Betrachter seiner Werke, so ist zu beobachten, verharren immer wieder in andächtigem, fast religiösem Staunen. „Innehalten, sich mal hinsetzen, aus dem Alltag rausziehen lassen“ – Kotts Figuren bewerkstelligen das eigentlich mit jedem seiner Besucher, ob nun leibhaftige Golfer bei ihm vorbeischauen, ein Kamera-Team des Bayerischen Fernsehens oder Schulkinder, die Kott eines Tages nacheifern wollen: „Die Kinder müssen erst wieder schauen ler-nen, viele sind so zappelig geworden“, hat er feststellen müssen. Der Geduldsmensch aus Bernried versucht diese Fähigkeit des Schauens, diese Ruhe des Arbeitens mit Holz auch an die Kinder einer Starnberger Hauptschule weiter zu geben. „Holz hat die Sonne in sich“, sagt er über sein erklärtes Lieblingsmaterial. Ein philosophischer Satz, ein Bekenntnis.
Längst hat Peter Alexander Kott einen festen Kreis von „Kunden“ für seine mechanisch-magischen Kunstobjekte. Und diese Kundschaft besieht sich der Meister schon genau, eher ihr seine Geschöpfe „anvertraut“. Der Käufer des „Golfers“ wie auch des „Radfahrers“ in Feldafing hatte für die beiden Miniatur-Sportler einen Ehrenplatz im Wohnzimmer gefunden: Nach zwölf Minuten Sandgerinnung kann er vorführen, zu welch dynamischer Haltung ein Cyclist aus Holz auf seinem Velo-Sattel minutenlang fähig ist. Auch eine von Kotts Miniatur-Eisenbahnen aus Holz steht in Feldafing, detailgenau, detailverliebt nachgebaut bis zur mikroskopisch kleinen Schrift einer Speisekarte im Mini-Café. „Die Trennung von so einem Werk fällt mir nach wie vor schwer“, sagt Kott, der sich vor Bestellungen aus aller Welt manchmal kaum retten kann. Wenn man Monate, vielleicht Jahre, an und mit einer solchen Figur gearbeitet hat, dann erwächst da eine Beziehung, erwacht etwas zum Eigenleben. Daher die erwähnten „Besuche“ bei seinen Geschöpfen, kein endgültiges Abschiednehmen.
Einsame Handarbeit
Wohin führt all diese akribische, so enorm zeitaufwändige Geduldsarbeit? Muss sie überhaupt zu etwas führen? Sie macht auf jeden Fall den gehetzten Menschen unserer Tage auf etwas aufmerksam: „Das Ziel ist das Daraufhinarbeiten“, skizziert Peter Alexander Kott seine Philosophie der beharrlichen, einsamen Handarbeit, die eines Tages im Triumph des Gelingens ihre Erfüllung findet.
„Unbeschreiblich“ sei ein solcher Moment. Wenn sich endlich, endlich doch alles fügt. Unteilbarer Genuss. Magisch. Göttlich. Wie das Perpetuum mobile, dem auch Jahrtausend-Genies wie Leonardo da Vinci immer wieder nachspürten. Oft wähnten sie sich einer Lösung nahe für diese eigentlich physikalische Unmöglichkeit, doch niemandem gelang es, jene Wundermaschine zu bauen, die die Gesetze der Mechanik und der Energie-Erhaltung überwindet.
Vielleicht findet dieses Wunder ja am Starnberger See statt, in dem Landkreis, der sich bis zum Jahr 2035 die energetische Autarkie, die „Energiewende“ auf die Fahnen geschrieben hat. Vielleicht nimmt das „Wunder“ in der kleinen Ein-Zimmer-Wohnung des Peter Alexander Kott seinen Ausgang?
Wenn es so weit ist, wird er alles unter Panzerglas stellen, erst ins Landratsamt vielleicht, dann ins Museum. „Im Prinzip ist es ja schon geschafft“, sagt er und strahlt diese in sich ruhende Zufriedenheit aus. Die Zufriedenheit eines Menschen, der ein Ziel erreicht hat.
Thomas Lochte