Vincent van Gogh Porträt – Knowing Art

eingetragen in: Kultur, Künstler Porträts, N°17 | 0

 

Ein van Gogh Porträt

Zugegeben, er ist einer meiner absoluten Favoriten: der große Vincent van Gogh – Außenseiter, Verzweifelter, Kämpfer und Glaubender. Der Mann, der sich gegen den Strom stellt und darin untergeht – untergehen muss. Ein „Untergeher“, aber so komplett anders, als der Protagonist aus Thomas Bernhards Roman. Ein Mensch der an einer Gesellschaft zugrunde geht, die das Offensichtliche nicht sehen kann und in ihren Konventionen gefangen bleibt.

Die biographischen Eckdaten dürften hinlänglich bekannt sein – man verzeihe mir, dass ich ohne Umwege über seine Malerei schreiben möchte. Exemplarisch für seine frühe Phase habe ich das Gemälde „Die Kartoffelesser“ von 1885 gewählt. Schon in diesem Bild ist der komplette Konflikt van Gogh`s angelegt. All das, was diese Menschen für van Gogh bedeuten, was er damit verbindet, lässt sich einfach nicht in der traditionellen Malerei darstellen. Die Armut, das Alter, die Schlichtheit, der Schmerz. Zunächst beginnt alles in gewohnten Bahnen: die Anatomie, die Bildkomposition, die zentrale Lichtquelle mit ihren umspielenden Schatten. Und schon fängt das Gemälde förmlich an aus den Fugen zu springen. Die rechte Bäuerin drückt es geradezu aus der Komposition an die Seite. Die Gesichter und Hände müssen wachsen, damit der Raum für solche gewaltige Schatten entstehen kann, die nur der Maler fühlt. Es ist eines der ersten Gemälde, bei dem der Akt des reinen Farbauftrages, bereits zur künstlerischen Aussage gehört. Die Farben werden nicht aufgetragen, sie werden aufgedrückt und aufgeschmiert. Es ist ein wahrer Kraftakt. Eine Zerreißprobe aus Empathie und Wahrhaftigkeit, gegen gelernte Malkonvention. Alle Gemälde die von nun an Folgen, kennen nur diese eine Idee: Die Suche nach dem unmittelbaren, authentischen Ausdruck. Den Moment der absoluten Erhabenheit. Van Gogh ist der erste Maler, der die Farbe direkt aus der Tube auf die Leinwand drückt. Alles andere kostet Zeit, lenkt ihn ab. Mit der Tube kann er im Stakkato die Leinwand bearbeiten, es entsteht ein Duktus aus Tubenfarbe. Er erkennt, dass der Auftrag der Farbe die Aussage des Gemäldes prägt. Er spürt, dass sich über die Dreidimensionalität des Auftrages, der Kontrast mühelos erhöhen lässt. In seinen folgenden Bildern nutzt er alle Mittel, um die Expression ins Unendliche zu steigern. Flirrende Komplimentärkontraste, die sich rhythmisch um die Motive biegen. Es ist eine Urgewalt, die van Gogh da entflammt. Perspektiven werden völlig unbrauchbar und lösen sich auf. Flächen beginnen sich aufzulösen oder konkurrieren zumindest um die Raumtiefen, mit darunter liegenden Ebenen. Diese Malerei ist so außergewöhnlich, dass es auch heute noch einleuchtet, warum er zu Lebzeiten dafür verachtet wurde.

Alles was bis zu diesem Zeitpunkt einen akademischen, malerischen Wert gehabt hat, ist in van Gogh`s Malerei in Frage gestellt. 

Und diese Neubewertung hat bis heute seine Gültigkeit. Nehmen wir die Malerei eines David Hockney. Ist da nicht auch ein Farbauftrag, mit der Rhythmik eines van Gogh`s, sind da nicht auch die einzelnen Striche im Komplimentärkontrast zueinander gesetzt und fangen die Flächen der Wälder und Wiesen nicht das Vibrieren an? Van Gogh ist als Künstler einfach nur „Outstanding“. Er hat wesentlichen Einfluss auf sämtliche, malerischen Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts – wenn sie mich fragen, mehr als Monet und Picasso zusammen. Weil er auf alle Fragen der Malerei eine Antwort gibt – indem er sie alle in Frage stellt und dabei mühelos und beinahe paradoxer Weise, wieder Lösungen findet.

Gerade wurde in Amsterdam das neu gestaltete van Gogh Museum wieder eröffnet. Wenn sie sich für Malerei interessieren, sollten sie unbedingt hinfahren – van Gogh wird ihren Horizont erweitern. Wenn ihnen Malerei zu kompliziert ist, sollten sie hinfahren – van Gogh wird ihr Herz berühren.

χ Tobias Vetter

 

Vincent van Gogh zu sehen im neu gestalteten van Gogh Museum – Paulus Potterstraat 7 – Amsterdam