WTF – über Sexismus in diesem Blog

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In einen Artikel über Tinder-Dating kann man Nacktbilder von Frauen einbinden. Sollte man aber nicht.

 

Ein Kommentar von Isabel Werdin

 

Haben Sie sich auf den vorhergehenden Seiten eventuell gefragt, ob die Dating App Tinder eine Plattform ist, bei der Männer sich Frauen aussuchen, die sexy hüllenlos für sie posieren? Achtung Spoiler: Das ist Tinder nicht. Aber der Eindruck könnte entstehen, wenn ausgerechnet beim Thema Dating auf Fotos zurückgegriffen wird, die Frauen zu sexualisierten Objekten machen und damit hauptsächlich männliche Phantasien beleben.

Bildsprache ist mächtig 

Social Media lebt sie uns vor: Die Macht der Bilder. Das schnelle Durchscrollen von Newsseiten, Feeds wie bei Instagram oder eben Tinder beschränkt sich häufig auf genau diese. Wir sind Expertinnen und Experten geworden, ein Bild in Sekundenschnelle zu bewerten. Noch kurz die begleitenden Schlagwörter, Hashtags, Überschriften gelesen und schon hat unser Gehirn alles in den entsprechenden Schubladen abgelegt. 

In den Bildern, die in diesem Magazin den Dating-Artikel, das Cover und die Aktfotostrecke schmücken, visualisiert die Bildsprache das Wertesystem, das nach wie vor unsere Gesellschaft beherrscht: Es ist männlich. 

„Ja, und?“, werden jetzt einige sagen, „Was ist falsch daran, wenn sich Frauen gerne erotisch in Szene setzen (lassen)?“ Ganz so einfach können wir es uns jedoch nicht machen und im Wesentlichen frage ich mich: Sind Bilder dieser Art in diesem Kontext wirklich notwendig?

Grenzenlose Kunst?

Die Kunst ist ein gutes Beispiel dafür, wie weibliche Körper seit jeher passiv und dekorativ arrangiert werden. Die Grenzen sind dabei fließend, zwischen Ästhetik, Erotik und Sexismus. Aber wir müssen differenzieren: Nur weil Frauen nackt und lasziv dargestellt werden, ist es keine „schlechte“ Kunst. Gleichzeitig kann Qualitätskunst aber auch sexistisch sein. Aber darf sie sich unter diesem Deckmantel alles erlauben? Wird Sexismus damit gesellschaftsfähig?

Der Fotograf Stefan Huber dazu in seinem Interview: „Bin ich ein Problem? Wahrscheinlich. Aber es gibt mich und ich existiere neben all den anderen Menschen, mit ihren Vorstellungen wie die Welt sein müsste oder sollte.“ Diese Gleichgültigkeit kann ein Problem sein. Wenn keine Reflektion und damit keine Einsicht der Verantwortung stattfindet, dass wir alle täglich Sexismus leben, wir aber behaupten wir seien nicht sexistisch, weil wir Frauen – so wie der Künstler es glaubhaft tut – lieben, halten wir genau diese Realität am Leben. Frei nach dem Motto: Wenn ich nicht darüber rede und es nicht als meine Wirklichkeit annehme, existiert es auch nicht. 

Und es sind gar nicht die Bilder im Einzelnen. Es geht um die fortwährende männliche Perspektive. Um eine Dauerschleife aus Männerwünschen, die wir internalisieren und sie zu den unseren machen, ohne zu reflektieren. Man könnte auch sagen: It’s a „Male Gaze“ World. 

„Mal Gaze“ – nie gehört? Der „Blick des agierenden Mannes“ projiziert seine Idee von Weiblichkeit auf die Frau und formt sie entsprechend. Eine Perspektive, die vor allem in der Filmwelt vorherrscht und viele Kontroversen auslöste. Frauen werden auf visuelle sinnliche Reize und ihre erotische Ausstrahlung reduziert, ihre Körper zur Schau gestellt. Die Kameraperspektive ist die, des männlichen Protagonisten – keine neutrale. Die Frau rutscht in die passive Rolle. Sie ist die, die angesehen wird. Als Rezipientinnen und Rezipienten der Fotos, Filme, Kunstwerke nehmen wir selbst die Rolle des männlichen Protagonisten ein. Die Quintessenz des Jahrhunderte lange gelernten Male Gaze? Alle Geschlechter haben ihn und so betrachten auch Frauen andere Frauen aus dieser Perspektive – in aller Regel völlig unbewusst.

Auf den Kontext kommt es an 

Nun ist ein Foto mit nackter Brust und in Male Gaze-Perspektive nicht zwangsläufig sexistisch. Aber neben der wiederholten Darstellung dieser einseitigen Perspektive, gibt es noch einen zweiten zu beachtenden Aspekt: den Kontext. Bilder stehen selten alleine für sich. 

Beim vorangehenden Artikel über Dating suggeriert die Bildwahl von Herausgeber Tobias Vetter, dass es auf der App Tinder ausschließlich um die Wahlmöglichkeit des Mannes geht. Das Stimmt objektiv gesehen nicht; auf Tinder agieren Mann und Frau vollkommen gleichberechtigt und können offen durch Bild und Text kommunizieren, ob sie Partner fürs Leben suchen oder ein kurzes Abenteuer. Da Tobias Vetter aber wohl einzig mit dem männlichen Blick an seine Aufgabe herangegangen ist, entsteht genau dieser Eindruck und bestätigt das alte Narrativ vom „aktiven Mann“ und der „passiven Frau“.

Und auch Schlagworte und Überschriften sind Teil des Kontextes. Der Titel der Fotostrecke „Girls around the World“ suggeriert das Bild von „jungen Mädchen“. Augenhöhe? Keineswegs. Dass es sich auf den Bildern um Erwachsene handelt, wird nebensächlich. Die Frau wird automatisch in die Rolle der Abhängigen gedrängt, die zum starken erfahrenen Mann aufsieht. Schauen Sie sich die Bilder an und überlegen Sie was wäre, wenn dort nicht „Girls“ sondern „Women“ stünde. Vielleicht nehmen Sie einen Unterschied wahr.

Medien haben gesellschaftliche Verantwortung

Und nun? Es liegt auch an Medien und Medienschaffenden dafür zu sorgen, dass Kontexte stimmig sind und sich von dem ewigen „Sex Sells“-Gedanken in seiner ganzen antiquierten, antifeministischen Auslegung zu verabschieden. Doch genau das ist in vielen Bereichen nicht der Fall. Studien von 2016 zeigen, dass jede dritte Frau in der Werbung sexualisiert dargestellt wird. Bis heute hat es die Medienwelt nicht geschafft, sich von diesen und weiteren Rollenklischees zu verabschieden. Schon im Kinderfernsehen sind weibliche Charaktere gänzlich unterrepräsentiert. Drei von vier sind männlich. Und spätestens mit der Pubertät lernen wir in großer Dankbarkeit von Mädchen- und Frauenzeitschriften wie wir uns stylen, um „ihm“ zu gefallen, wie wir uns verhalten, damit „er“ sich in uns verliebt, wie wir am besten alles sind, nur nicht zu viel wir selbst. Dabei haben Medien nicht die Aufgabe, Vorurteile zu bedienen. Sie müssen zeigen, wie die Welt ist. 

Nichts ist schwarz oder weiß 

Und diese Welt verändert sich täglich. Wir müssen lernen, neue Strukturen anzunehmen und uns von alten zu verabschieden. Das kann anstrengend sein und sicherlich wird es Regeln geben, die einigen Personen aufstoßen und zu vielen Diskussionen führen. 

Ist das nötig? Ja. In der Debatte um Sexismus und die Darstellung der Frau als Lustobjekt geht es nicht um eine Schlacht zwischen den Geschlechtern. Vielmehr ist es ein kooperatives Gemeinschaftsprojekt. Natürlich wollen Menschen einander gefallen. Frauen haben Lust auf Männer und andersherum, aber Frauen haben auch Lust auf Frauen, Männer auf Männer und so weiter. Insofern geht es nicht darum Aktbilder und erotische Darstellung zu diffamieren oder sogar zu verbieten. Es geht darum, Grenzen zu akzeptieren, diverse Blickwinkel zuzulassen und anzunehmen. Und darum, Frauen zuzugestehen, dass sie mehr sind als Busen und Po, aber auch Männer von dem Klischee zu befreien, ihre Handeln sei durchweg sexuell getrieben.

Die Gefahr der Präsentation solcher Bilder ist die Transferleistung unseres Gehirns. Was wir in den Medien sehen, halten wir für real. Wir nehmen es mit in die soziale Welt und begegnen Frauen so, wie wir sie auf Bildern und in Kontexten wie diesem sehen und wir reduzieren Männern zu Lustmolchen.  

Emanzipation von Frau und Mann

Hier liegt auch eine wesentliche Fallgrube im Versuch um Gleichberechtigung: Frauen sollen Karriere machen und gleichberechtigt sein – sind es aber de facto nicht, solange wir das Bild der Frau als Lustobjekt aufrechthalten, Stereotype aller Geschlechter festigen und uns von einer patriarchalen Welt vorschreiben lassen, was weiblich und was männlich ist. Zum Beispiel, in Bezug auf körperliche Merkmale: Kurze Haare – nicht weiblich. Hohe Stimme – nicht männlich. Zu viel Muskeln – nicht weiblich. 

Hierbei vergessen wir, dass nicht andere darüber entscheiden, was Femininität ist und was Maskulinität ist. Ich bin eine Frau. Ich fühle mich weiblich – immer und überall. Wer kann sich anmaßen, mir vorzuschreiben, wie ich mich verhalten oder kleiden soll, um mich weiblich zu fühlen? Und ganz selbstverständlich gilt doch genau das für jeden Menschen, ob weiblich, männlich oder divers. 

Schließlich fühlen auch Männer sich immer öfter unwohl in dem Korsett, das sie tragen, und emanzipieren sich. „Dieser Druck, dass du nur ein echter Mann bist, wenn du Erfolg, Muskeln und ein dickes Auto hast, der stresst mich“, sagen sie. Und das zu Recht. Gleichzeitig haben sie Sorgen: „Wenn eine Frau alleine Autoreifen wechseln kann – wozu braucht sie mich dann noch?“ 

Dabei ist es doch eigentlich so einfach: Frauen wollen Männern nichts wegnehmen oder sie gar überflüssig machen. Wir finden es prima, wenn ihr unsere Autoreifen wechseln könnt und einen trainierten Körper habt. Wir finden es aber auch prima, wenn nicht. Das macht euch nicht weniger Mann und uns nicht weniger Frau. 

 

Isabel Werdin arbeitet als 

Journalistin und Publizisten in München

www.isabelwerdin.de