Wie simplifizierende Moral Terror motiviert

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„Moral ist das Rückgrat der Schwachsinnigen“

Francis Picabia

 

Dr. Jörg Raewel beschreibt in “Mords Spaß” den Zusammenhang von Moral und Terror

 

Es sind wahrhaft rüde Späße, die sich die islamistischen Terroristen mit den Werten der westlichen Gesellschaft erlauben. Respekt vor dem kulturellen Erbe der Menschheit? – In irakischen Museen lässt sich sehen, wie dies mit Vorschlaghämmern und Bohrmaschinen geschieht. Religionsfreiheit – oder auch nur der geringste Respekt vor menschlichem Leben? – Feixend hält ein „Jihadi John“ die enthaupteten Köpfe von Andersgläubigen in die Kamera. Und haben uns die Extremisten nicht auch die Kontingenz unseres Werts der Rede- und Meinungsfreiheit aufgezeigt, sich den Spaß erlaubt, unsere humoristische Erwartung zu unterlaufen, noch angesichts von Tabubrüchen Spaß zu verstehen? Ist der tödliche Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ nicht die größte Satire aller Zeiten? Ganz so, wie auch der Komponist Karlheinz Stockhausen vom 9/11-Terroranschlag behauptete, es sei „das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat“ gewesen. Denn im Humor geht es doch gerade darum: Grenzen infrage zu stellen, mit etablierten Werten und Konventionen verknüpfte Erwartungen zu unterlaufen. Satire ist demnach nichts heilig, kennt keine Grenzen, darf von den Zumutungen selbst sakrosankter Erwartungen abweichen.

Mit diesen zynischen, aber durch Meinungsfreiheit gedeckten Ausführungen unterlaufen wir selbst die üblichen, mit dem islamistischen Terror verbundenen Erwartungen. Etwa, pietätvoll zu Schweigen, Solidarität mit den Opfern zu zeigen, Geschlossenheit, demonstrative Einigkeit und Empörung angesichts der Bedrohung westlicher Werte. Es wird kein Spaß verstanden, werden diese Erwartungen unterlaufen. Ist mir als Autor also die psychiatrische Klinik zu empfehlen? – Die auch György Ligeti seinem Komponisten-Kollegen Karlheinz Stockhausen empfahl, hätte sich dieser doch „auf die Seite der Terroristen gestellt“ indem „er diesen niederträchtigen Massenmord als Kunstwerk auffasst.“

Der islamistische Terror zeigt jedenfalls, dass auch der „Westen“ über unveräußerliche Werte verfügt, Werte, wie etwa Rede- und Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, der Respekt vor menschlichem Leben, die nicht ungestraft verletzt werden dürfen, verteidigt werden müssen. Auch die Empörung, der demonstrative Aufschrei des „Westens“ angesichts der vermeintlichen Verletzung dieser Werte – denn „Verletzungen“ sind es ja, an denen sich Werte beweisen –, ist dem Furor des „Ostens“ angesichts der Mohammed-Karikaturen nicht unähnlich. Nicht an Himmelsrichtungen lässt sich hier ein Unterschied festmachen. Es lässt sich vielmehr von unterschiedlichen Strategien angesichts der Verletzung von Werten innerhalb der einen Weltgesellschaft ausgehen. Wenn symbolisch verkürzt ein Gegensatz konstruiert werden soll, dann zwischen Handlungsweisen, mehr an Moral orientiert einerseits, mehr an Humor andererseits.

Humor, nicht unähnlich der Kunst, legt es darauf an, Konventionen, üblichen Erwartungen nicht gerecht zu werden und damit zu reflektieren. Spielerisch, absichtslos, schlicht um der Reflexion willen im Nonsens; mit kritischer Stoßrichtung etwa in Formen wie dem Sarkasmus oder der Satire. Humor kann als Medium der Reflexion verstanden werden. Er ermöglicht der modernen, sich schnell wandelnden Gesellschaft, Alternativen aufzuzeigen, es anders zu machen; allenfalls besser. Er schafft (kritische) Distanz zum Geschehen, spornt an, Beobachter zu beobachten, schon Unterschiedenes (kritisch) zu unterscheiden.

Moral ist der Gegenspieler des Humors. Er nötigt schnelle, unüberlegte Reaktionen auf (für Überlegungen ist gar keine Zeit), angesichts von Gefahren, die von Handlungen ausgehen, die dem Sammelsurium an (unantastbaren) Erwartungen nicht gerecht werden.

Moral empört, erzürnt, entrüstet, setzt genügend Emotion frei, um kopflos, bedingungslos in den Kampf zu ziehen.

Moral kennt nur Freund oder Feind, Achtung und Missachtung. Moral ist es, die die islamistischen Terror-Anschläge motiviert.

Nicht der Koran ist die Waffe der Extremisten – genaue Textkenntnis ist den meisten IS-Kämpfern wohl abzusprechen –, sondern Moral. Zumal Religion zwar oft vorderhand, aber nicht hauptsächlich moralische Handlungsorientierungen begründet.

Oft entzündet sich simplifizierende Moral an sozio-ökonomischen Verhältnissen; die Kombination aus Bildungsferne und prekären ökonomischen Verhältnissen, etwa durch Arbeitslosigkeit, mag nicht nur Jihad Kämpfer und Salafisten, sondern auch Hooligans und Pegida-Demonstranten in Deutschland moralisch motivieren. Auch politisch-totalitäre Systeme instrumentalisieren bevorzugt Moral.

Zwar kann davon ausgegangen werden, dass an Moral orientiertes Handeln dominant in traditionellen Formen der Gesellschaft, etwa Stammesgesellschaften zu finden ist, um traditionelle Werte und Handlungsmuster zu stabilisieren, Abweichungen von Traditionen zu verhindern.

Dennoch ist keineswegs ausgemacht, dass eine Orientierung an Moral vorzugsweise Sache des „Ostens“ ist.

Denn was ist davon zu halten, dass sich angesichts von kriminellen Handlungen Massen angetrieben sehen, sich mit „Charlie Hebdo“ zu solidarisieren, für Rede- und Meinungsfreiheit einzutreten, dabei gleichzeitig versichert wird, dass der Islam nicht unter Generalverdacht steht?

Wenn tatsächlich von extremistischen Einzeltätern, allenfalls von extremistischen Organisationen auszugehen ist, dann wären Großdemonstrationen nicht nötig. Die Demonstrationen belegen einen unreflektierten Generalverdacht, wie er sonst gerade religiösen Extremisten zugerechnet wird. 

Die etwa abstrus-allgemein von der generellen Dekadenz und Sündenhaftigkeit des „Westens“ ausgehen, wogegen zu demonstrieren, in den Kampf zu ziehen ist.

Unsere westlichen Werte sind nicht in Gefahr, werden vielmehr angesichts von Bedrohungen gerade als Wert gestärkt und stabilisiert. In tatsächlich schon seit Jahren konkreter Gefahr ist der „Westen“, sich vom moralischen Extremismus der Jihad-Kämpfer korrumpieren zu lassen. Die moralische, letztlich lediglich wilde, kopflose Entschlossenheit ausdrückende Formulierung eines „Krieges gegen den Terror“ angesichts des Terroranschlags in New York – anstatt schlicht von einem kriminellen Akt auszugehen, der mit den Mitteln des Rechtsstaates zu ahnden ist – zeugt nicht nur von extremem politischen Dilettantismus, sondern hat sich als self-fulfilling prophecy erwiesen. Präsentierte Präsident Bush im Oktober 2001 noch eine Liste mit den 22 meistgesuchten Verbrechern, hat der „Krieg gegen den Terror“ mittlerweile zu Listen von Terrorverdächtigen geführt, die in die Millionen gehen. Mit dem „IS“ (Islamischen Staat) konnte der „Krieg gegen den Terror“ mittlerweile den im Jahre 2001 für einen „Krieg“ noch fehlenden „Staat“ nachliefern.

Den Irak-Krieg unbegründet, oder allenfalls mit konstruierten Beweisen zu beginnen, war nicht mehr als extremer, kopfloser Moralismus. 

Denn Moral kennt Freund und Feind mit absoluter Sicherheit, braucht keine Beweise. Schon die Überlegung, dass diese simple Unterscheidung selbst nicht sonderlich freundlich, also eher der Seite der Feinde zuzurechnen ist, kostet zu viel Zeit, ist gefährlich verzagt, spielt dem Feind in die Hände, muss aus moralischen Gründen unterdrückt werden. – Das mag richtig sein; in jedem Fall aber gilt: Wer mit dem simplen Schema von Freund/Feind beobachtet und handelt, macht sich mit Sicherheit auch dort Feinde, wo zunächst keine waren.

Wenn Humor und Satire für kritische Distanziertheit, ja kritische Selbstdistanz stehen, für Reflexion im besten Sinne, und damit in äußerster Ferne zum moralischen Rigorismus der Jihadisten, dann ist gerade dies eben oft nicht mehr der Fall: „Je suis Charlie“. Denn Rechtsstaatlichkeit als eine in Jahrhunderten erkämpfte zivilisatorische Errungenschaft des „Westens“, Legitimation durch Verfahren, institutionalisierte Reflexivität statt moralische Blindwütigkeit, sind im „Krieg gegen den Terror“ überraschend schnell durch Institutionen extremistischer Moral ergänzt worden.

Guantanamo und jahrelang ausgeübte Folter, nicht nur in Abu Ghraib, stehen exemplarisch dafür.

Es ist billig, demonstrativ für die „westlichen Werte“ einzustehen, gleich ob Pro- oder Kontra-Pegida etikettiert. Sich an der tumben Sicherheit, der moralischen Überlegenheit eines „Wir gegen Euch“ aufzuwärmen, dem üblichen Freund/Feind Schema der Moral zu verfallen.

Humor und Satire stehen für kühle, und damit auch den Furor von Moral abkühlende Reflexivität. Der Unterschied zu den (Moral-)Fundamentalisten, dass eben zeigt „Charlie Hebdo“, ist weitaus fundamentaler, als dies gerade Solidaritätsbekundigungen ausdrücken. Oder sollte dies zumindest sein.

Es war der Soziologe Niklas Luhmann, der der Auffassung war, das Ethik die Aufgabe zukommt, vor Moral zu warnen. 

Aktuelle Entwicklungen im Zuge des „Kriegs gegen den Terror“ zeigen wie recht er hat. Es ist die Simplizität dieses Beobachtungsschemas, die nur Achtung und Missachtung kennt, nur Freund und Feind, die brandgefährlich ist.

Auch wenn zwischen Freunden und Feinden unterschieden wird – das Schema selbst ist in jedem Fall feindselig.

χ  Jörg Räwel

 

Dr. phil. Jörg Räwel

Freier Wissenschaftler, Soziologe und Wissenschaftsjournalist, lebt und arbeitet in Zürich.

httpss://independent.academia.edu/JörgRäwel

 

Weiterführende Literatur zum Thema:

Humor als Kommunikationsmedium

Jörg Räwel

UVK Verlag

ISBN-13: 978-3896695123

19,90 €

 

Anständig Geblieben – Nationalsozialistische Moral

Raphael Gross

S. Fischer

ISBN-13: 978-3596187577

9,99 €

 

Die Moral der Gesellschaft

Niklas Luhmann

Suhrkamp Verlag

ISBN-13: 978-3518294710

18,00 €