Am Nullpunkt – über den Selbstmord eines Geschäftüpartners

eingetragen in: Kultur, Meist Gelesen Kultur, N°13 | 0

“Der Sinn des Lebens ist Leben” Karl Lagerfeld

Haben Sie den Wandel auch bemerkt? Lifestyle-Magazine sind anders geworden. Von der reinen Aneinanderreihung trendiger Konsumartikel hin zur ganzheitlichen Lebensberatung. Alles, was den modernen Menschen bewegt, findet die jeweilige Rubrik. Themen, die vor einigen Jahren nur zu Randgruppen gehörten, werden massentauglich. Von Yoga und Meditation zu Psychologie und Beautythemen. Wir schreiben über Werte, Nachhaltigkeit und den Umgang mit Ressourcen.  Wir versuchen, Grenzen zu sprengen und für liberale und humane Werte einzustehen. Die meisten unserer Artikel beschäftigen sich mit dem Grundtenor, wie Sie Ihr Leben bereichern können. Sei es materiell oder geistig-seelisch. Hin zum Glück, zur Erfüllung, zum Wohlfühldasein. Wir schreiben über Momente der Besinnung sowie der Reflexion über das Leben als solches. Das Leben in unserem Magazin ist nicht nur aufgeklärt und hipp, sondern auch emanzipiert und erfüllt. Alle, die an diesem Magazin direkt oder indirekt mitwirken, versuchen nicht nur dieses Lebensgefühl zu verkaufen, sondern auch selbst Teil dieser Philosophie zu sein.

Am 1. August schied unser langjähriger Freund und Geschäftspartner Christoph Junker selbstbestimmt aus dem Leben. Noch wenige Stunden vor seinem Tod führte ich ein langes und offenes Gespräch mit ihm. Ein Gespräch, wie ich es mit vielen Unternehmern in den letzten Monaten führte. Über den Druck, erfolgreich sein zu müssen, über unbezahlte Außenstände, die Schwierigkeiten der neuen Herausforderungen im Internethandel, über problematische Kunden und die Zahlungsmoral. Business as usual, sollte man meinen.

Die Nachricht seines Todes war nicht nur auf persönlicher Ebene ein Schock für mich. Bis zum letzten Moment vor Druckabgabe haderte ich mit diesem Vorwort. Gehört dieses Thema in ein Lifestyle-Magazin? Meine Antwort ist: Ja.

Christoph Junker war ein Teil unserer Gemeinschaft, ein Teil des 5-Seen-Landes. Für mich war er nicht nur ein fairer Geschäftspartner – ich hatte auch großen Respekt vor seinen unternehmerischen Entscheidungen und Visionen. Er stand für viele Werte, für die auch wir einstehen. Freilich vermag ich nichts über den Schmerz und die letztendliche Motivation seiner Handlung zu schreiben. Aber der Verlust dieses Menschen gibt mir Anlass innezuhalten. Der Tod als größte Relativierung des Lebens. Wir schreiben über Dinge und Handlungen, die unser Leben erfüllen sollen – der Tod wird dabei sorgsam ausgespart. In unserem Lifestyle-Magazin möchte ich ihn in dieser Ausgabe integrieren. Der Tod als Endpunkt des Lebens und Gegenpol aller Lebendigkeit. All der proklamierte Konsum und die Versprechen einer Glückseligkeit, die wir in 13 Ausgaben publiziert haben, müssen sich an diesem Nullpunkt des Lebens messen lassen. Der Tod als unkommerzialisierbare Wahrhaftigkeit und natürliches Ende jeglichen Wachstums. In keiner Gesellschaft war er mehr verbannt als in unserer heutigen. Nichts ist fremder zu unserer Lifestyle-Gesellschaft als die Aufhebung der selbigen.

Wir müssen uns daran erinnern, warum wir das tun, was wir tun. Wir müssen innehalten und atmen, uns spüren. Wir müssen uns erinnern, dass wir in Kontakt mit Menschen sind, mit deren Nöten und ihren Sorgen, ihren Schmerzen und ihren Befürchtungen. Wir müssen uns erinnern, dass unter suggeriertem Glück auch Leid stecken kann. Wir müssen heute mehr denn je darüber sprechen, dass wir nicht nur erfolgreiche und glückliche Menschen sind, sondern auch immer einsame und unverstandene.

Und wer glaubt, dass dieses Thema nicht in unser Lifestyle-Magazin gehört, der hat nicht verstanden, für wen wir dieses Magazin machen: für die Menschen da draußen – und zwar für alle.

 Tobias Vetter