Dr. Noll schreibt – Menschen ändern sich nicht – oder doch?

eingetragen in: Kultur, N°14, Psychologie | 0

Psychologie Gewohnheit – Dr. Noll schreibt “Menschen ändern sich nicht – oder doch?”

 

Wer kennt das nicht, zum x-ten Male sind wir enttäuscht von einem Menschen, der uns versprochen hatte zukünftig Verabredungen einzuhalten oder uns zu helfen oder keinen Alkohol mehr zu trinken. Und hatten wir uns nicht selbst auch schon mehrfach vorgenommen mehr Sport zu treiben, beim nächsten Mal unsere Meinung zu sagen oder freundlicher zu Anderen zu sein? Und doch fallen wir genau wie Andere auch immer wieder in alte Verhaltensmuster. Das lässt doch nur einen Schluss zu: Menschen ändern sich nicht. Aber andererseits gibt es sie doch, die Geschichten in denen jemand sich verändert. Sei es die berühmte Wandlung „vom Saulus zum Paulus“ aus dem alten Buch oder die Anpreisungen der Ratgeber, Coaches und Psychotherapeuten, dass Veränderung möglich ist. Und was sollte eigentlich dagegen sprechen?

Ist denn nun davon auszugehen, dass Menschen sich wesentlich ändern oder nicht? Die, anders als im asiatischen Raum, für den Westler immer wieder ungewöhnliche Antwort lautet: ja und nein.

Ja, natürlich können Menschen sich verändern und nein, häufig zu beobachten und weit verbreitet ist es nicht, dass Andere oder wir selbst uns grundlegend verändern. Woran liegt das? Lassen Sie uns dazu kurz anschauen, auf welcher Ebene wir eigentlich von Veränderung sprechen. Wir reden von „wesentlichen“ Veränderungen, also von Eigenschaften mit denen wir unser Wesen, unsere Persönlichkeit, unseren Charakter beschreiben würden. Bei genauerer Betrachtung sind diese Eigenschaften jedoch nichts Anderes als Gewohnheiten, sich in einer bestimmten Situation auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten. Wir nennen einen Menschen z. B. dann „unpünktlich“, wenn er häufig zu spät kommt. Genau genommen ist dies jedoch keine Eigenschaft wie Augenfarbe oder Schuhgröße, sondern eine Verhaltensweise bzw. eine Gewohnheit, wenn es häufiger vorkommt.

Zur Klärung unserer Frage ist es also wichtig, sich klar zu machen, dass Persönlichkeitseigenschaften („Charakter“) letztlich nichts Anderes sind als eingefahrene Gewohnheiten. Wie so viele andere hilfreiche Erkenntnisse wurde auch dies bereits von einem der ersten großen Psychotherapeuten, Siddhartha Gautama genannt „Buddha“, in folgender Abfolge zusammengefasst:

Absicht – Handlung – Gewohnheit – Charakter – Schicksal

Natürlich haben wir alle zunächst ganz unabsichtlich eine bunte Mischung an Gewohnheiten von unseren Eltern und der Gesellschaft anerzogen bekommen, die unseren „Charakter“ geformt haben und unser „Schicksal“ zu bestimmen scheinen. In dem Moment, in dem wir uns dieser Zusammenhänge bewusst werden, können wir nun Absichten formulieren, einen anderen Weg einzuschlagen. Den meisten von uns fällt das Absichten-formulieren auch noch relativ leicht. Doch Viele scheitern bereits beim nächsten Schritt: die Absicht in die Tat umzusetzen. Aber auch damit ist die Arbeit noch nicht getan. Wenn wir uns wirklich („wesentlich“) verändern wollen, müssen wir dafür sorgen, dass unsere neuen Handlungen zu Gewohnheiten werden. Und das bedeutet: dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben.

Was uns immer wieder mit unseren besten Absichten scheitern lässt, ist, dass es nun mal anstrengend ist, sich zu verändern. Und anstrengend bedeutet konkret: es kostet Kraft, Konzentration, Ausdauer und geht einher mit unangenehmen Emotionen. Je nach Art der Veränderung müssen Sie mit Angst, Scham und Schuldgefühlen rechnen um nur einige der Gefühlszustände zu nennen, die Sie für eine Veränderung in Kauf nehmen müssten. An dieser Stelle ist leicht zu sehen, warum Veränderung kein alltäglich zu beobachtendes Phänomen ist. Es ist anstrengend und unangenehm im Vergleich zum Verharren in den alten Gewohnheiten. Und solange der Status Quo nicht allzu unerträglich wird, scheuen die meisten Menschen den Aufwand für Veränderung.

Sehr schön passt in diesen Zusammenhang folgendes Zitat von Oscar Wilde: „It´s simple, but it´s not easy.“. Im Grunde genommen ist es einfach („simple“), wenn Sie sich/etwas verändern wollen, müssen Sie sich anders verhalten. Allerdings ist es nicht leicht („not easy“), es kostet Anstrengung und unangenehme Gefühle. Veränderung ist also auf jeden Fall möglich. Unser Verstand sträubt sich in der Regel aber gegen zwei wichtige Erkenntnisse. Erstens: obwohl Veränderung erfahrungsgemäß anstrengend und unangenehm ist, beharren wir darauf, dass es leicht sein müsste. Hier ist wohl einerseits der Wunsch Vater des Gedankens, andererseits kaufen wir Scharlatanen und Blendern nur allzu gerne die Versprechungen ab, dass es doch leicht gehen könne. Am Ende haben wir dann häufig viel Geld bezahlt und sind selbst daran Schuld, dass es bei uns gerade leider nicht funktioniert hat. Zweitens: unser Verstand ist nicht bereit sich einzugestehen, dass die Lösung auf der Verhaltensebene in den allermeisten Fällen sehr einfach ist. Das ist für unseren komplexen Verstand beschämend. Außerdem dient die (sinnlose) Suche nach komplexen Lösungen als willkommene Verzögerungstaktik, die anstehenden unangenehmen Schritte nicht zu gehen.

Also: wenn Sie sich wirklich verändern wollen, nehmen Sie Ihr Schicksal in die Hand. Formulieren Sie eine Absicht, überlegen Sie sich die ersten kleinen konkreten Schritte in die richtige Richtung und bleiben Sie mit Hilfe einer selbst geschaffenen Struktur oder Unterstützung von außen dran, so dass Ihre neuen Verhaltensweisen zur Gewohnheit werden. Seien Sie nur nicht so naiv zu glauben, eine bedeutsame Veränderung – und sei sie noch so offensichtlich zu Ihrem Besten – würde Ihnen leicht fallen. Mühelos wird das Ganze ab dem Zeitpunkt, an dem Sie neue Gewohnheiten etabliert haben. Das Gehirn mag Gewohntes und Routine, denn das kostet keine Anstrengung. Feste Gewohnheiten, denen Sie über einen längeren Zeitraum nachgehen, werden dann zu Ihrer „zweiten Natur“, zu Persönlichkeitseigenschaften oder etwas altmodischer zu Ihrem Charakter. Und dieser wird ganz wesentlich den Verlauf Ihres Lebens, also pathetisch ausgedrückt Ihr Schicksal, bestimmen.

Dr. Alexander Noll leitet als Psychotherapeut eine Privatpraxis in Berlin und gibt Seminare und Workshops in ganz Deutschland.

www.dr-alexander-noll.de